Historische Entwicklung der Methode und wichtige Werke

Die Feldforschung im 19. Jahrhundert

Heutzutage stellt die Feldforschung einen untrennbaren Bestandteil der Sozial- und Kulturanthropologie dar. Zu Zeiten des Evolutionismus allerdings war sie eine Seltenheit. Lediglich Morgan, Lewis H. soll sie betrieben haben. Die restlichen Evolutionisten gelten als Lehnstuhlethnologen.

Auch in der direkten Folgezeit wurde die Feldforschung noch nicht zentrale Methode der SKA/Ethnologie.  

1874 erschien das Handbuch „Notes and Queries on Anthropology“. Hier fanden sich erstmals eindeutige Anweisungen für den Forscher: (1) Betrachte alle Facetten im Kontext, (2) Beobachte selbst, (3) Beobachte systematisch, (4) Schlüsse sollen induktiv erfolgen.

Franz Boas

Im Jahre 1880 folgte die Feldtheorie von Franz Boas, Vertreter der Amerikanische Kulturanthropologie. Sie stellte die Verbindung von Praxis und Theorie her:

„Klassifikation kann niemals der Anfang unserer Arbeit sein, höchstens eventuell als Fazit.“

Boas' Konzept der Feldforschung legt die wichtigsten Merkmale ethnologischer Untersuchung fest:

  • die Verbindung des Ethnologen und Ethnographen in einer Person
  • ein langer Aufenthalt im Untersuchungsgebiet, während dessen der Ethnologe die Sprache der Eingeborenen lernen sollte
  • die Beobachtung der Lebenswirklichkeit der Indigenen und die Beachtung derer eigenen Interpretation.
  • soziokulturelle Wirklichkeiten müssen aus Sicht der Eingeborenen erklärt werden.
  • Es gehe darum, induktiv zu arbeiten, auf Details zu achten und die lokale Bedeutung herauszuarbeiten.

Seine Forderungen an ethnologische Forschung standen in Abgrenzung zu den auf Spekulationen basierten Theorien der Evolutionisten und Diffusionisten und sollten der Kulturanthropologie eine empirische Grundlage verleihen.

Malinowski

Eine Zäsur in der Geschichte der Feldforschung stellt Bronislaw Malinowskis Konzept der teilnehmenden Beobachtung dar. In der Einführung zu „Argonauten des westlichen Pazifik“ (1922) stellt Malinowski einen Forderungskatalog für die Feldforschung auf und erhebt sie zu der zentralen Methode der Sozial- und Kulturanthropologie.

Laut Malinowski muss man die großen Theorien verwerfen und ein Gefühl für das Lokale und seine Bedingungen bekommen. (siehe 3.2.2.)

Seine 1967 erschienenen Tagebücher zeichnen ein anderes Bild von dem auf wissenschaftliche Vorgehensweise bedachten Anthropologen und zeugen von Zerrissenheit und Fremdheitsgefühlen.

Writing Culture Debatte und Postmoderne

Die um 1980 einsetzende Writing Culture Debatte beschäftigte sich mit der Problematik der Repräsentation der Indigenen und der Faktizität von Fakten. In diesem Zusammenhang brach sie mit Boas' Konzept der Feldforschung als empirische Grundlage der Ethnologie. Folgende Schlussfolgerungen zogen die Teilnehmer der Debatte im Bezug auf die Feldforschung:

  • Daten und Fakten sind nicht objektiv, sondern zeit- und gesellschaftsbedingt.
  • Die objektive Wahrheit ist nicht zu erreichen. Jeder Ethnograph - und überhaupt jeder Mensch - hat eine bestimmte Perspektive auf die Wirklichkeit.
  • Die Beschreibungen von Gesellschaften wirken durch Machtdiskurse zurück auf die Wirklichkeit dieser Gesellschaften (u.a. durch Veränderung der Selbstwahrnehmung der Indigenen).
  • Die Position im Feld ist wichtig aber nicht das zentrale Element der Untersuchung.
  • Eine Überprüfung der Ergebnisse im naturwissenschaftlichen Sinne ist nicht möglich.
  • Ergebnisse der Feldforschung hängen von der subjektiven Wahrnehmung des Ethnographen ebenso ab, wie von den verfügbaren Indizien und auch von nicht wiederholbaren Zufällen.
  • Forscher üben sich in einer neuen wissenschaftlichen Bescheidenheit.
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2 Kommentare

  1. Kai Richarz sagt:

    Was genau meint "Die Position im Feld"?

    1. Max Roehl sagt:

      Die "Position des Forschers im Feld" meint seine Positionierung im sozialen System derjenigen Gesellschaft, die er untersuchen möchte. Diese soziale Position (auch definiert durch Machtbeziehungen) entscheidet letztlich darüber, zu welchen (sozialen und lokalen) Räumen er Zugang gewinnt und demnach auch zu welchen Erkenntnissen er kommt. Einem männlichen Forscher beispielsweise ist es häufig unmöglich, in weiblich dominierte Räume Einblick zu gewinnen und andersherum.

      Allein mit seiner Anwesenheit nimmt der Ethnograph, ob willkürlich oder unwillkürlich, eine soziale Position ein, die seine Perspektive ebenso bestimmt wie diejenige anderer auf ihn. Der Anspruch von Objektivität ist schon darum kaum aufrechtzuerhalten. Spätestens seit der Writing Culture Debatte gehört die Offenlegung und Reflexion der eigenen Position im Feld zu jeder Ethnographie. In "Deep Play" beschreibt Geertz anschaulich, wie sich seine Position und die seiner Frau im Feld veränderte:

      "Wir zogen in das Anwesen einer Großfamilie, die zu einer der vier Hauptgruppen des Dorfes gehörte (das war vorher mit Hilfe der Provinzregierung arrangiert worden). Doch außer unserem Hausherren und dem Dorfvorsteher, dessen Cousin und Schwager er war, ignorierten uns alle auf eine Weise, wie dies nur Balinesen vermögen."[1]

      Erst nach dem Hahnenkampf und der folgenden gemeinsamen Flucht vor der Polizei verändert sich dieses Verhältnis: "Am nächsten Morgen erschien uns das Dorf wie umgewandelt. Wir waren nun nicht nur nicht länger unsichtbar, wir waren plötzlich der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit, man überschüttete uns förmlich mit Herzlichkeit, Interesse und - das ganz besonders - Spott."[2]

      (1) Geertz, Clifford (1987): Deep Play. Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf. In: ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt/Main, Suhrkamp. S. 202-260, hier S. 202.

      (2) Ebd. S. 206