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Leben und geschichtlicher Hintergrund

  • Sohn jüdischer Eltern
  • 1902 Ruf an die Sorbonne (Paris) auf Lehrstuhl für Erziehungswissenschaft und Soziologie
  • war einflußreich (viele Ämter) und kontrovers
  • Arbeitsbelastung, Erster Weltkrieg und der Tod seiner besten Schüler und seines Sohnes André führten zu Krankheit und frühem Tod Durkheims
  • Er macht keinen Unterschied zwischen der Erforschung der fremden und der eigenen Gesellschaft, er bezeichnete beides als Soziologie und sich als Soziologen

Forschung

Studie über den Selbstmord

  • von 1897
    • Findet 3 Gründe für Selbstmord:
      • soziale Vereinsamung, Kollektiver Druck (Schande), Wirtschaftskrisen
    • 3 mal höhere Selbstmordrate in protestantischen als in katholischen Gesellschaften

Motivation

Methode

Thesen

Soziale Tatsachen (faits sociaux)

  • sind empirisch feststellbar und definierbar
  • sind Arten des Handelns, Denkens und Fühlens, stehen außerhalb des Individuums und dessen Handeln
    • Beispiele: Sitten und Bräuche, Religion, Familie, das Recht, politische Institutionen.
  • werden geschaffen durch das soziale Zusammenleben und die Interaktion von Menschen
  • Begriff stammt von dem Altertumswissenschaftler Foustel de Coulanges (Studie "La cité antique")
  • Individuum kann sich dem moralischen Druck sozialer Tatsachen nicht entziehen, aus diesem Zwangsverhältnis resultieren soziale Verhaltensweisen und Handlungen
    • Die Ideen über Moral stammen von den Leipziger Völkerpsychologen Wilhelm Wundt

Die soziale Tatsache der Religion

  • Werk: "Les formes élémentaires de la vie religieuse. le systeme totémique en Australie" (1912)
    • Es geht um die 2 Themen: Opfer und Totemismus
    • erhoffte sich vom Studium animistischer und totemistischer Religionen Rückschlüsse auf das religiöse Verhalten des modernen Menschen
  • Er unterschied zwischen religiösen Handlungsweisen (Riten) und kollektiven Repräsentationen (Glaubenssystemen)
  • Dualität Sakral - Profan
    • Alle Gesellschaften haben ein duales Ordnungsschema, nach dem sie alle Dinge entweder dem sakralen oder profanen Bereich zuordnen
    • Was profan und sakral ist bestimmen die Menschen (über das Kollektivbewusstsein) selbst
      • Der Dualitätsgedanke wurde später von Durkheims Schüler [[Robert Hertz]] weiterentwickelt und blieb bis zum Strukturalismus von Claude Leví Strauss grundlegend

  • Religion ist Ausdruck gesellschaftlicher Wirklichkeit, auch die grausamsten Riten und fremdartigsten Mythen vermitteln menschliche Bedürfnisse, individuelle oder gesellschaftliche Aspekte des Lebens
  • Die Art der Religiosität sagt auch etwas über das Kollektiv aus, das diese Religion ausübt oder propagiert
  • Das Sakrale steht für den Zwangscharakter des Kollektivs und seine normative Macht
  • Totemverehrung der Australier ist die sakralisierte Anerkennung des Klan-Kollektivs durch seine Angehörigen
    • Totem (Begriff zuerst von MacLennan): Tier, Pflanze, Ding, das in bestimmter enger Beziehung zu bestimmten Menschen steht
  • Durkheim sah den Ursprung der Religion in der Wirkung des kollektiven Erlebens (nicht im Glauben an übernatürliche Wesen wie Tylor).
  • Religion nicht nur Abbild der Gesellschaft, sie betet sich vielmehr in dieser selbst an.

Mechanische und organische Solidarität

  • Mechanische und organische Solidarität sind grundlegende Muster sozialer Integration bzw. Diversifikation und spiegeln sich im Gegensatz "primitiver" und "zivilisierter" Kulturen wieder.
    • siehe: "De la division du travail social" (1893)

Mechanische Solidarität

  • tritt in "primitiven Gesellschaften" mit weitgehend homogenen sozialen und kulturellen Verhältnissen auf
  • wenig ausgeprägte Arbeitsteilung
  • Zusammenhalt der Gruppen ist stark
  • der Einzelne unterliegt dem Kollektivbewusstsein

Organische Solidarität

  • tritt in großen Gruppen auf, die stärker heterogen und differenziert sind
  • starke Arbeitsteilung
  • Die einzelnen Teile der Gesellschaft sind durch die starke Arbeitsteilung aufeinander angewiesen wie die Organe eines Körpers (der Körper als Ganzes ist die Gesellschaft, die selbstverständlich auch auf das Funktionieren ihrer Teile angewiesen ist)
  • das Individualbewusstsein in solchen Gesellschaften ist stärker ausgeprägt

Das Kollektivbewußtsein (conscience collective)

  • Ist der überindividuelle normative Bereich (Normen, Regeln, Moralvorstellungen), an dem sich das Verhalten des Einzelnen ausrichtet
  • Es verflüchtigt sich in der städtischen oder industrialisierten Lebenswelt. Dies führt zu Regellosigkeit und Orientierungslosigkeit des Individuums.
Zitat

"Die Art, wie sich die einen und die anderen bilden, macht sie noch unterschiedlicher. Die kollektiven Vorstellungen sind das Ergebnis einer ungeheuren Zusammenarbeit, die sich nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit ausdehnt. Um sie aufzustellen, haben eine Vielzahl von Geistern ihre Ideen und ihre Gefühle zusammengeworfen, vermischt und kombiniert; viele Generationen haben hintereinander ihre Erfahrung und ihr Wissen angehäuft. Eine ganz bestimmte Intellektualität, die unendlich viel reicher und komplexer ist als die des Individuums, ist ierdurch gewissermaßen konzentriert. So ist es verständlich, wie die Vernunft die Kraft hat, über die empirische Erkenntnis hinauszugehen. Das verdankt sie nicht irgendeiner geheimnisvollen Tugend, sondern einfach dem Faktum, daß der Mensche, nach einer bekannten Formel, doppelt ist. In ihm befinden sich zwei Wesen: ein individuelles, das seine Basis im Organismus hat und dessen Wirkungsbereich dadurch eng begrenzt ist, und ein soziales Wesen, das in uns, im intellektuellen und moralischen Bereich die höchste Wirklichkeit darstellt, die wir durch die Erfahrung erkennen können: ich meine die Gesellschaft. Diese Zweiheit unserer Natur hat praktisch zur Folge, daß das moralische Ideal nicht auf das Nützlichkeitsstreben, und erkenntnistheoretisch, daß die Vernunft nicht auf die individuelle Erfahrung zurückgeführt werden kann. In dem Maß, in dem das Individuum an der Gesellschaft teilnimmt, im Denken wie im Handeln, transzendiert es sich selbst."

Durkheim, Émile (1981): Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt/Main:Suhrkamp, S. 37.

Kritik

Kritik an Durkheims Religionssoziologie

  • die Prämissen seiner Theorie sind anfechtbar
  • Die Ansicht, Totemismus sei die älteste Form von Religion, wird als evolutionistisches Erbe gewertet
  • Die Sakral-Profan Dichotmie ist nicht in ihrer Universalität nachweisbar
  • Generell begnügt Durkheim sich oft mit einer schmalen empirische Basis
  • Weitreichender ist seine Erklärung von Kategorien
    • Bemerkenswert ist die Schlußfolgerung, daß Religion und Wissenschaft sich nur graduell voneinander unterscheiden und Rationalität und Irrationalität in beiden enthalten seien

Wirkung

Werk

  • 1898 Gründung der Zeitschrift l'Année Sociologique
    • Die Zeitschrift enthält Veröffentlichungen der Forschungsarbeiten seiner Schüler sowie Besprechungen der gesamten internationalen Soziologie-Literatur und wird so zu einem Kompendium des soziologischen und ethnologischen Wissens seiner Zeit
    • sie kann als Durkheims Hauptwerk angesehen werden
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