Zusammenfassung der Vorlesung vom 09.06.2010
Zu Beginn der Vorlesung bezog sich Frau Kummels auf die Sitzung vom 02.06.10, in der es um den Papstbesuch 2002 in Mexiko ging. Ein Photo zeigte den Papst mit zwei indigenen Vertretern. In dieser Zeremonie findet die Aushandlung einer indigenen Identität statt, die sowohl inszeniert als auch manipuliert werden kann. Sie nahm noch einmal Bezug auf die Heiligsprechung von zwei zapotekischen Vertretern und erläuterte, warum diese kanonisiert wurden und wie dieses zustande kam. Andrew Beatty schlussfolgert aus dieser Heiligsprechung das Zelebrieren der indigenen Kultur.
Das zentrale Thema dieser Vorlesung war die Pilgerschaft: Mobile Menschen und Ideen im transnationalen Kontext Kuba/USA wurden von Frau Kummels an Hand eines Fallbeipieles verdeutlicht. Das Ziel war zu verdeutlichen, wie die Pilgerschaft innerhalb eines transnationalen Kontextes behandelt und analysiert werden kann. Die Beispiele und Schlussfolgerungen basierten auf Thomas Tweed, der den spezifischen Katholizismus der Cuban Americans beschrieb. Innerhalb der Cuban Americans gab es politische Polarisierungen und auch die Virgen de la Caridad wurde dort politisiert. Thomas Tweed interessiert sich dafür, ob dieses Phänomen im transnationalen Kontext und somit auch in der Diaspora zu erklären sei.
In diesem Fallbeispiel ging es um die Reise der Virgen de la Caridad, die 1961 von Kuba nach Miami geschmuggelt wurde. Für sie wurde ein Schrein gebaut, der die neue Identität der Exilkubaner im religiösen sowie politischen Sinne repräsentierte. Zunächst erklärte Frau Kummels den historischen Hintergrund.
Es begann mit der Marienverehrung in Kuba, die durch eine Legende hervorgerufen wurde. Diese Legende besagt unter anderem, dass die Virgen de la Caridad plötzlich verschwand und unerwartet verschiedenen Bevölkerungsgruppen erschien - unter anderem auch afrikanischen Sklaven, die sich diese aneigneten und zu einer Synkretisierung der Virgen de la Caridad beitrugen.
Dann folgten die Unabhängigkeitskriege, in denen die Virgen de la Caridad um Schutz gebeten wurde. Nach Kriegsende wurde sie als Nationalheilige erklärt und eine Kirche wurde in Cobre errichtet. Diese Kirche verweist auf ein regelmäßiges Muster. Tweed spricht von einem Typ von Kirche, den er found object shrines nennt.
Zur Zeit vor der Kubanischen Revolution gab es viele católicos a mi manera (ich bin Katholik auf meine Art und Weise), dies bedeutet, dass die Heiligen oft im häuslichen Ambiente verehrt wurden und nur zu besonderen Anlässen wie z. B. Taufen die Kirche aufgesucht haben. In diesem sogenannten Ethnokatholizismus verschwimmen die Grenzen der Santería. Die Santería ist eine Gesammtheit von Göttern aus verschiedenen Kulturen, die verehrt werden. Dieses Verschwimmen dieser Grenzen kann man durch das Praktizieren des Glaubens im häuslichen Ambiente weitergeben.
Mit dem Beginn der Kubanischen Revolution übernahm die Regierung viele Funktionen der katholischen Kirche, was zu Auseinandersetzungen zwischen der Kirche und der Regierung führte. Dadurch geriet die Virgen de la Caridad ins Zentrum der Politik. Die Pilgerschaften und Prozessionen wurden verboten, weil die kubanische Regierung glaubte, dass dadurch Oppositionen entstehen würden.
Tweed folgert, dass die Virgen de la Caridad durch zwei Parteien zwei verschiedene Bedeutungen zugesprochen bekommt.
Besondere Bedeutung wird den drei großen Auswanderungswellen seit den 60er Jahren zugeschrieben, die laut Tweed die Basis sind, um die Transnationalität und somit auch die Transformationsprozesse der Virgen de la Caridad zu verstehen.
Es ensteht ein transnationales Netzwerk, dessen Strukturen durch informelle Akteure aufgebaut werden. Transnationalität macht sich zum Beispiel bemerkbar durch finanzielle Unterstützung (Geld an die Familie schicken).
Die Bedeutung von Our Lady of Charity Shrine: Ein nicht-kubanischer Bischof ließ eine Kirche in Miami bauen, die die Kubaner ansprechen und von ihnen genutzt werden sollte (Kubaner gehen nicht regelmäßig in die Kirche - siehe católicos a mi manera). An diesem Ort Our Lady of Charity Shrine bildet die geschmuggelte Virgen de la Caridad das sakrale Zentrum der Kubaner, die durch die gemeinsame Erfahrung des Exils und die Sehnsucht zusammengeschweißt wurden. Aspekte der Verehrung sind zum Teil traditionelle Praktiken (Blumen, beten,…) sowie neue Praktiken (Photographieren im heiligen Zentrum).
Der letzte Teil der Vorlesung gab einen Interpretationsrahmen für Diaspora-Religion. Laut Tweed haben die Exilkubaner ein Selbstverständnis ihrer Situation und verwenden die Begriffe (emische Sichtweise) diáspora (Verstreutheit ihrer Gemeinschaft), exilio (verweist auf unfreiwilligen Charakter, jedoch mit verschiedenen Motiven des Exils) und nación (Gemeinschaft mit utopischem Charakter).
Diese diáspora schafft sich neue Bezugspunkte wie z. B. Schreine, Kirchen, Denkmäler, durch die man Gemeinsamkeiten darzustellen versucht.
Die Definition dieser diáspora nach Tweed beinhaltet, dass diese nicht der Geburtsort sein muss, sondern dass sie sich über eine gemeinsam geteilte Vergangenheit und eine gemeinsame Zukunft definieren. Ein Beispiel dafür ist das Little Havanna, ein Stadtteil in Miami, das an die Hauptstadt Kubas erinnern soll.
Fazit:
- Die Transformation der Virgen de la Caridad geschieht durch die Migrationswelle, und diese schafft die diáspora, über die die Interpretation möglich wird.
- Religiöse Phänomene verändern sich durch Transnationalität.
- Der historische Kontext ist für die Interpretation wichtig.
Bei einer anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass die Verehrung von Heiligen auch von „Modeerscheinungen“ abhängig sein kann, wie z. B. in dem Fall der Virgen de la Caridad, die zur Zeit von der Verehrung des San Lazaro überdeckt wird.
[Zusammenfassung einer Studierenden]