2002 wird mit Juan Diego der erste Indigene von der katholischen Kirche offiziell heilig gesprochen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Kanonisierung. Die Bewertungen dieses historischen Ereignisses gehen teils stark auseinander. Die einen sehen die Kanonisierung als Vereinnahmung der Indigenen durch die Kirche, andere sehen darin ein Zugeständnis an die Indigenen. Dieser Gegensatz liegt in der schwierigen Geschichte Mexikos und der Kirche begründet.

Das Verhältnis des mexikanischen Staates und der katholische Kirche

Seit der Unabhängigkeit und der ersten liberalen Verfassung Mexikos aus dem Jahre 1857 kam es zu einer Beschneidung des kirchlichen Einflusses und damit zu einer Krise der Kirche. Sie wurde enteignet, ein Säkularisierungsprozess setzte ein. Diese Entwicklung setzte sich nach der mexikanischen Revolution (1911-1917) fort. Gottesdienste durften nur noch in den Kirchen abgehalten werden. Die Religion wurde aus der Öffentlichkeit verbannt, ausländische Priester durften nicht einreisen, Bischöfe und andere Würdenträger durften nicht wählen gehen und sich nicht politisch äußern. Das Gelübde wurde als Freiheitsberaubung angesehen. Staat und Kirche wurden folglich bis auf das Äußerste getrennt, was einen tiefen Graben zwischen beiden zur Folge hatte.

In den 1990er Jahren setzten viele Reformen in Mexiko ein. Religion wurde als Unterrichtsfach angeboten, Priester durften wieder öffentlich auftreten, an Wahlen teilnehmen und Eigentumsrechte besitzen. Diese Annährung kam im Zusammenhang mit der Einführung eines Mehrparteiensystems zustande. Von der Revolution bis ins Jahr 2000 wurde Mexiko von einer einzigen Partei regiert, der PRI. Eine Opposition war kaum vorhanden. Die erste nachfolgende Regierung, PAN, knüpfte nun enge Kontakte zur Kirche und normalisierte das Verhältnis der staatlichen zur religiösen Institution. Der neue Staatspräsident Vicente Fox Quesada (2000-2006) bezeichnet sich selbst als Katholik.

Der Papstbesuch

In der Annährung zur Kirche spielte der fünfte Besuch Papst Johannes Pauls II. im Jahre 2002, der erste seit 1979, eine große Rolle. Untersucht wurde dieser Besuch von dem englischen Ritualforscher Andrew Beatty. Seiner Auffassung nach war der Besuch ein öffentliches Ritual als Ort (site) der Aushandlung religiöser Bedeutung, ritueller Kontrolle und indigener Identität. Umstritten ist dabei wie eingangs erwähnt die Kanonisierung des Indigenen Juan Diegos.

Bei seinem letzten Besuch war der Papst vom ehemaligen Staatspräsidenten nicht offiziell, sondern lediglich in der Wohnung seiner Mutter empfangen worden. Fox aber empfing den Papst nun mit einem gewaltigen Empfangskomitee, bestehend aus staatlichen Würdenträgern und Indigenen. Bei diesem Empfang am 30.07.2002 küsste Fox den Ring des Papstes, was eine große Medienresonanz zur Folge hatte und auf verschiedene Art und Weise interpretiert wurde. Hinter dieser Geste könnten Bekenntnis, Ehrbezeugung und Demut, Abfuhr an den vergangenen Säkularismus, Entschuldigung für angetanes Unrecht und eine neue Allianz zwischen Staat und Kirche stehen.

Die Kanonisierung Juan Diegos

Den zweiten Akt dieses öffentlichen Rituals stellte die Kanonisierung Juan Diegos dar. Sie war verbunden mit einer großen Zeremonie, bei der indigene Tänze von dem mexikanischen Staatsballett inszeniert wurden. Es gab also hier schon eine Aushandlung über Identitäten, wurde die der Indigenen doch aufgrund der inszenierten Tänze manipuliert.

Beattys Auffassung nach war dieses Ritual Teil eines interaktiven Christianisierungsprozesses. Die Kanonisierung sei ein Zugeständnis an die indigenen Einflüsse auf den Katholizismus. Gleichzeitig wird mit der Kanonisierung ein politisches Ziel verfolgt, nämlich die Inszenierung des Staatspräsidenten und die Demonstration seiner rituellen Kontrolle.

Neben Juan Diego wurden zwei zapotekische Indigene heiliggesprochen. Ihre Inszenierungen und Interpretationen weichen voneinander ab und werden nicht nur positiv besetzt, was in ihrer Geschichte begründet liegt. Zu ihrer Zeit denunzierten die beiden Indigenen Heiden in ihrem Dorf, woraufhin sie von ihrem Stamm getötet wurden. Es kam zu Vergeltungsmaßnahmen der Spanier gegen den Stamm.

Die Lokalakteure interpretieren ihre Populärheilige auf unterschiedliche Art und Weise. So werden sie als Ikonen der Indigenen, eines gemeinsames Mexikos oder als Erfindung der Kirche gedeutet. Ihre Identität wird angefochten und diskutiert. Das heißt, die Akteure nehmen aktiv an dem Deutungsprozess teil, wie auch im Falle Juan Diegos bei dem Papstbesuch.

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