1. Was wird unter dem Begriffspaar induktiv/deduktiv verstanden?

Induktion = Erfahrungen in begrenzter Anzahl ausreichend für Schlussfolgerung eines allgemeinen Gesetzes

Deduktion = Überprüfung einer Theorie/ eines allgemeinen Gesetzes im Vergleich mit der Wirklichkeit (dem Einzelfall)

Diese Definitionen habe ich aus dem wissenschaftlichen Arbeiten der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften. Ich habe das Gefühl, dass das nicht so ganz mit unserer Definition aus dem Tutorium übereinstimmt...

induktiv: vom Konkreten zum Allgemeinen   deduktiv: vom Allgemeinen zum Konkreten

Die Kultur- und Sozialanthropologie spricht von Induktion wenn ein KSAnthropologe erst ins Feld geht und dann anhand seiner gesammelten Daten eine Theorie aufstellt.

Die Kultur- und Sozialanthropologie spricht von Deduktion wenn eine KSAnthropologin erst eine Theorie aufstellt und dann versucht sie durch die Ergebnisse ihrer Feldforschung zu untermauern.

Die induktive Herangehensweise an Theorien ist die bevorzugte Herangehensweise der SKA.

2. Was wird unter dem Begriffspaar synchron/diachron verstanden?

Synchrone Theorien: Interpretation der Beziehungen der Sachverhalten zueinander, gleicher Zeitpunkt

Diachrone Theorien: Interpretation der Beziehungen der Sachverhalten zueinander entlang von Zeiträumen, verschiedenen Zeitpunkten

Entnommen der Präsentation von Thilo Grätz.

Begriffspaar um theoretische Ansätze zu analysieren

synchron: zeitgleich, Gleichzeitigkeit, auf einer Zeitebene   diachron: Zeitverlauf (Entwicklung)

Synchrone Theorien: Kulturrelativismus, Struktur- und Funktionalismus

Diachrone Theorien: Evolutionismus, Diffusionismus, Historischer Partikularismus

3. Was wird unter dem Begriff „emische Perspektive“ verstanden?

emisch: von innen heraus/ Innensicht   etisch: von außen betrachtend/ Außensicht

Unter dem Begriff "emische Perspektive" wird das Bestreben der SKA verstanden, die Dinge aus sich selbst heraus (mit den Augen eines Insiders) zu verstehen und zu bewerten, und nicht aus dem Kontext der Kultur/Sozialisation der betrachtenden Person heraus.

4. Was ist Ethnographie?

Unter Ethnographie versteht man zum einen die Forschungstätigkeit in der Ethnologie bzw. der Sozial- und Kulturanthropologie, also die Feldforschung, und zweitens das Produkt dieser Forschung, den Text in schriftlicher Form (z.B. Argonauten des westlichen Pazifik von Bronislaw Malinowski).

5. Welches waren die ersten großen Theorieentwürfe in der Sozial- und Kulturanthropologie und in welchem Kontext entstanden sie?

Der Evolutionismus und der Diffusionismus entstanden im Zuge des Kolonialismus, der Aufklärung, des Darwinismus und des Positivismus (Ausschluss des Spirituellen, Fakten zählen).

6. Was kennzeichnet den Evolutionismus? Nenne einen Vertreter.

Der Evolutionismus ist durch die Annahme von Entwicklungsstufen vom niederen zum höheren gekennzeichnet, die jede Kultur durchläuft oder durchlaufen hat. Als höchste Stufe wird der "zivilisierte Mensch" in europäischen und nordamerikanischen Gesellschaften (die eigene Gesellschaft der Forscher) angesehen. Anhand der "primitiven" und "wilden" Gesellschaften könne man Rückschlüsse auf die menschliche Geschichte ziehen.

Einer ihrer Vertreter war Edward Burnett Tylor (1832-1917). Tylors Definition von Kultur („the complex whole") ist noch heute relevant in der SKA und sein Blick auf die Religion (der Glaube an spirituelle Wesen) war damals revolutionär.

Andere waren Lewis Henry Morgan (1818-1881), James Frazer (1854-1941), Herbert Spencer (1820-1903).

Kritisiert wurden die Anthropologen aus dieser Zeit vor allem, da sie als "arm chair" Anthropologen galten, die sich willkürlich Texte und Reiseberichte vornahmen und daraus ihre großen Theorieentwürfe entwickelten, also deduktiv und spekulativ vorgingen.

7. Welche Kritik übte Franz Boas am Evolutionismus?

Boas kritisierte:

8. Was ist Kulturrelativismus und was ist historischer Partikularismus?

Historischer Partikularismus:

Kulturrelativismus ist die Theorie, nach der kulturelle Phänomene nur in ihrem eigenen Kontext verstanden, beurteilt und bewertet werden können.

Der Kulturrelativismus wendet sich gegen den Evolutionismus, dem er die ungerechtfertigte Anwendung externer, aus der europäischen Wissenschaft stammender Maßstäbe auf fremde Kulturen vorwirft.

Wichtige Ansätze des Kulturrelativismus:

Als wichtigster Vertreter des Kulturrelativismus gilt Franz Boas (1858-1942).

9. Welches waren die wichtigsten Ideen der Culture and Personality Studies?

Culture and Personality Studies: Forschung über die Persönlichkeitsprägung durch Kultur und Gesellschaft im Kontext der US-amerikanischen Kulturanthropologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Wichtige Vertreterinnen: Ruth Benedict, Margaret Mead, Cora DuBois.

10. Was bezeichneten für Ruth Benedict die Begriffe dionysisch und apollinisch?

Beide Begriffe wurden ursprünglich von Friedrich Nietzsche in "Die Geburt der Tragödie" geprägt.
Hierbei werden menschliche Verhaltensmuster nach den Eigenschaften der Götter Apollon und Dionysos eingeteilt.

apollinisch: - Menschen bleiben bei Ritualen stehts "klar", benutzen keine Rauschmittel (eher Praxis der Selbstverletzung oder des Fastens), Ziel ist keine Ekstase.

dionysisch: - Menschen versuchen durch Rauschmittel in Trance/in eine höhere Sinnesebene zu gelangen.

Ruth Benedict benutzt diese Begriffe, um die Unterschiedlichen Persönlichkeitstypen zu beschreiben, die ihr zufolge in indigenen Kulturen im Südwesten der USA auftreten.

11. Wie hat sich seit den Culture and Personality Studies das Verständnis des Verhältnisses zwischen Individuum und Kultur gewandelt?
12. Was ist die person centered ethnography?

Ethnographische Methode, bei der das individuelle Erleben fokussiert wird (Levy).

13. Was ist Funktionalismus? Nenne einen Vertreter.

Malinowski. Funktionalismus untersucht sozialer Institutionen im Hinblick auf den Nutzen, den sie für die Befriedigung individueller (Grund-)bedürfnisse haben.

14. Warum wird Malinowski als einer der „Gründerväter“ der Sozial- und Kulturanthropologie gesehen?
15. Was ist Strukturfunktionalismus? Nenne einen Vertreter.

Strukturfunktionalismus untersucht soziale Institutionen im Hinblick auf ihren Nutzen für den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Radcliffe-Brown, E.E. Evans-Pritchard (zwar Methoden-Schüler von Malinowski, aber theoretisch eher Strukturfunktionalist)

16. Worin unterscheiden sich Funktionalismus und Struktufunktionalismus?

Funktionalismus: soziale Institutionen bilden antworten auf menschliche Grundbedürfnisse.

Bsp. Ritual => psychologische Funktion für Individuum.

Strukturfunktionalismus: soziale Institutionen fördern gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Bsp. Ritual => Funktion für Erhalt der Sozialstruktur.

17. Wie erklärt E.E. Evans-Pritchard das Phänomen der Hexerei bei den Zande?
18. Welche methodische Herangehensweise gilt insbesondere für die Erforschung von Religion?
19. Welche These verbindet sich mit Tylors "Animismus"?
20. Was ist die Säkularisierungsthese?
21. Was betont Clifford Geertz in seiner Definition von Religion?
22. Welche unterschiedlichen theoretischen Herangehensweisen gibt es in der Medizinethnologie?
23. Was bezeichnet die Unterscheidung in „illness“, „disease“ und „sickness“ und wer hat sie geprägt?

disease: meint die objektive "Krankheit", die eigentliche Disfunktion der Körperabläufe im biologischen Sinne, die bestimmte Symptome hervorruft und durch den Arzt/Heiler etc. festgestellt werden kann

illness: meint die subjektive Konstruktion von "krank sein", bezieht sich auf die psychosozialen Erfahrungen, Wahrnehmungen und die Bedeutung der Störung für das Individuum und seine Umwelt, bezieht also die psychosozialen und kulturellen Erfahrungen (Wertungen, Interpretationen) mit ein

sickness: meint das Verständnis der Funktionsstörung in Bezug auf die das makrosoziale (ökonomische, politische, wirtschaftliche) Umfeld, die durch gesellschaftliche Faktoren bestimmte Krankheit

=> Arthur Kleinman

24. Was ist Biomedizin?

Gemeint ist die westliche Schulmedizin.

25. Wie bezeichnet Marcel Mauss den Gabentausch in den von ihm beschriebenen Gesellschaften und welche Merkmale schreibt er ihm zu?
26. Was ist Kula?
27. Was ist der Unterschied zwischen Formalismus und Substantivismus?

Formalismus

Substantivismus

Wirtschaft funktioniert immer
nach gleichen Grundprinzipien

lokale Wirtschaftsform abhängig von
sozialen und kulturellen Logiken

Optimierung der Nutzung
vorhandener Ressourcen
(verschiedene Ressourcen
in verschiedene Kulturen)

Bedürfnisbefriedigung

universelle Rationalität des
ökonomischen Handels vorausgesetzt

viele verschiedene ökonomische Handlungsweisen,
d.h. keine universell gültige Theorien

ermöglicht interkulturelle Vergleiche

 

"Homo Ökonomikus"


Raymond W. Firth

Karl Polanyi

28. Was ist der Unterschied zwischen Gabe und Ware?

Gabe:
- Tausch zwischen zwei Personen mit persönlicher Beziehung, nach Bronislaw Malinowski hat Gabentausch gesellschaftskonstituierende und erhaltende Funktion
- neben wirtschaftlichen Gütern können auch immaterielle Güter ausgetauscht werden (Tänze etc.)
- zeitliche Erfüllung und Wert der Gegengabe obliegt dem Gabennehmer
- nach Marcel Mauss kennzeichnet den Gabentausch das System der totalen Leistungen, die Erwiderung ist obligatorisch, und findet zwischen Institutionen (z.B. "Stämmen")
und nicht nur zwischen Individuen statt

Ware:
- hat über den Gebrauchswert hinaus einen Tauschwert
- eine persönliche Beziehung ist keine Voraussetzung

29. Was ist Reziprozität und was ist Redistribution? Nenne jeweils ein Beispiel!

Ausbalanciert               

Generalisiert

Negativ                                

Zeitpunkt und Art
der Gegenleistung
stehen fest

Zeitpunkt und Art
der Gegenleistung
stehen nicht
explizit fest

Ein Tauschpartner
hat seine Pflichten
nicht erfüllt

 

Konfliktpotential vorhanden

Raub oder Diebstahl

Tab. nach Marshall Sahlins

30. Was kennzeichnet die sozial- und kulturanthropologische Herangehensweise an Wirtschaft?
31. Was ist Deszendenztheorie und was ist Allianztheorie?
32. Was hat Heirat mit Gabentausch zu tun?
33. Was ist der Unterschied zwischen matri-/patrilinear und matri-/patrilokal?

-linear: bezieht sich auf Abstammung/Deszendenz.

-lokal: bezieht sich auf den Ort der (postmaritalen) Residenz.

34. Welche Formen von Elternschaft können unterschieden werden? Erkläre dies anhand eines ethnographischen Fallbeispiels!

biologische/soziale/legale Elternschaft.

Fallbsp.: Pflegschaft in Osttimor (Text Bovensiepen)

35. Was ist der Unterschied zwischen „sex“ und „gender“? Erkläre die Unterscheidung anhand eines ethnographischen Fallbeispiels!

sex= "biologisches" Geschlecht  

gender= Geschlechtsidentität

Fallbsp.: kawe-kawe (Indonesien) => männliches sex, weibliches gender zugeschrieben

36. Welche Meinung in Bezug auf sex und gender vertreten essentialistische FeministInnen,welche KonstruktivistInnen?

EssentialistInnen: gender wird biologisch determiniert, Frauen haben universelle gemeinsame Merkmale.

KonstruktivistInnen: "Gender" (evtl. auch "sex") ist sozial konstruiert.

37. Was ist Androzentrismus?

Bezeichnet im Wesentlichen die Fokussierung auf männliche Denk- und Handelsweisen als gesellschaftliche Norm (weibliche dagegen als Abweichung von diesem universellen Standard).
Der Begriff wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erwähnt von Perkins Gilman in "The Man Made World or Our Androcentric Culture" .
Damit sieht sich der Mann als das Universelle auf der Welt, als den Standard und alles was davon abweicht als das "Andere", als eine Abweichung. (Auch Frauen können diese Sichtweise verinnerlicht haben.)
Steht im Gegensatz zum Gynozentrismus.

38. Welche Kritik wurde von Women of Color an der frühen feministischen Anthropologie geäußert? Nenne eine Vertreterin!
39. Was ist eine segmentäre Gesellschaft?
40. Wodurch unterscheidet sich die Manchester School vom Struktufunktionalismus?
41. Welcher ist Barths Ansatz zu Ethnizität und welche ist die gegenwärtige Position zu diesem Begriff (Bsp. Jenkins)?
42. Was sind für die Medientethnologie „Medien“?
43. Was ist Video Indígena?
44. Wodurch grenzt sich Ortiz' Konzept der Transkulturation vom Begriff „Akkulturation“ ab?
45. Was ist für Welsch „Transkulturalität“?
46. Nenne zwei Autoren, die sich mit transatlantischen Verbindungen beschäftigt haben und ihre theoretischen Ansätze.
47. Welche Debatten und Kritiken führten zur Krise der Ethnologie bzw. zur Krise der Repräsentation in der Ethnologie?
48. Welche ist die Haupttaussage der Autoren des Bandes „Writing Culture“?
49. Was ist Positionalität?
50. Warum kritisiert Abu-Lughod den Kulturbegriff?

Der Kulturbegriff als Analysekategorie schafft Differenzen / Abgrenzungen. Mit ihm werden Menschen, die einer "Kultur" zugehörig scheinen homogenisiert und generalisiert, die historische Entwicklung wird nicht betrachtet und er impliziert Kohärenz. Aufgrund dessen ist es ein Begrifft, welcher Machtverhältnisse ausdrückt, hierarchisiert und Ungleichheiten rechtfertigt.

51. Wogegen richten sich Konzepte wie „multiple“ oder „alternative Modernen“?
52. Was meint Appadurai mit „-scapes“?
53. Was kennzeichnet den transnationalen Ansatz?