Zusammenfassung des Vorlesungsthemas vom 23.05.2012

(Vorlesung: Religion, Raum und Umwelt)

 

Der Live Dialogue als Transnationalitätsansatz: laut Lorand Matory[1] endet der durch den transatlantischen Dreieckshandel (Sklaven, Rohstoffe und Produkte wurden zwischen dem afrikanischen, dem amerikanischen und dem europäischen Kontinent in festgelegter Richtungsfolge ausgetauscht) eröffnete Dialog von prozesshaften, nicht-linearen, sondern eben transnationalen oder translokalen Verbindungen nicht mit der Abschaffung des Sklavenhandels. Religiöse Verbindungen sind über nationale und geographische Grenzen hinweg wechselseitig und entwickeln sich weiter. Dabei werden durch Austausch politische Identitäten und kulturelle Praxis in den Amerikas und in Afrika geprägt, wodurch religiöse Vorstellungen verbreitet werden. Man kann von (regelmäßigen) Pendelbewegungen im Bezug auf soziale Praktiken und Religion sprechen.

Transnationalität bezeichnet also das Aufeinandertreffen, sich Überschneiden und gegenseitige Beeinflussen von Menschen und Kulturen unterschiedlicher Herkunft. Ein (religiöser) transnationaler Sozialraum ist eine Art „dritter Raum“[2], in dem neue Vorstellungen von der Organisationstruktur einer Gruppe/ Glaubensgemeinschaft ausgehandelt werden. Sowohl die Herkunftsgesellschaft als auch die Aufnahmegesellschaft und deren jeweilige kulturelle und religiöse Praktiken spielen in dieser Entwicklung eine wichtige Rolle.

 

Mitte der 1990er Jahre äußerte der amerikanische Anthropologe George Marcus in einem Artikel über die so genannte Multi-Sited Ethnography:

For ethnogaphers interested in contemporary local changes in culture and society, single-sited research can no longer be easily located in a world system perspective. This perspective has become fragmented, indeed, “local“ at its very core. (...) The distinction between lifeworlds of subjects and the system does not hold, and the point of ethnography within the purview of its always local, close-up perspective is to discover new paths of connection and association by which traditional ethnographic concerns with agency, symbols, and everyday practices can continue to be expressed on a differently configured spatial canvas.“[3]

 

Die Untersuchung eines (religiösen) Phänomens lässt sich demnach anhand einzelner Stränge, die verschiedene Räume durchlaufen können, vollziehen. Der Forscher kann einem solchen „Strang“ folgen und diesen und dessen Folgewirkungen analysieren. Marcus erwähnt dabei die Stichwörter

- Follow the People

- Follow the Thing

- Follow the Metaphor

- Follow the Plot/ Story/ Allegory

- Follow the Life/ Biography

- Follow the Conflict

und neuerdings auch Follow the Gods.

 

Als ein aussagenkräftiges Beispiel, an welchem man das Follow the People-Konzept anwenden kann, gilt die kubanische Santería: diese entstand, als ehemalige, aus Afrika verschleppte Sklaven sich in Kuba zu einer neugeordneten Gruppe formten und ihre sehr diversen religiösen und kulturellen Traditionen und Praktiken miteinander verbanden. So entstand etwas Neues, das vorher weder auf dem afrikanischen Kontinent noch auf Kuba existiert hatte.

In kubanischen Sklavenlagern (Barracones) wurden den Sklaven Freiräume der Selbstorganisation zugestanden, die Cabildos de nación. Es formte sich eine eigene soziale Struktur innerhalb der Sklavengemeinschaft heraus, es kam zu internen Hierarchien, Sozialhilfe, Organisation von wichtigen Ereignissen wie Beerdigungen u.a.. Die Institution der Cabildos de nación gilt als translokaler religiöser Raum. Bis heute gibt es Feste und Umzüge, in denen spezifische Tänze und Riten präsentiert werden.

 

Weitere Beispiele für das Konzept Marcus´ sind die orale Überlieferung des Miguel Barré, eines entlaufenen Sklaven (Follow the People) oder die Geschichte des religiösen Mediatoren und Santería-Priesters Adechina (Follow the Biography).



[1] Siehe u.a.: J. Lorand Matory: The Many Who Dance in Me: Afro-Atlantic Ontology and the Problem with 'Transnationalism', in Essays on Religion and Globalization, Hrsg. Thomas Csordas, University of California Press (2009), S. 231-262.

[2] Konzept nach Homi K. Bhabha, in: Die Verortung der Kultur. Stauffenburg Verlag (2000).

[3] George E. Marcus: Ethnography in/of the World System: The Emergence of Multi-Sited Ethnography, in: Annual Review of Anthropology, Vol. 24. (1995), S. 98.

Zusammenfassung: E. Czarnowski

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