Sherry B. Ortner ist eine der Anthropologinnen, die in den 70er Jahren die feministische Anthropologie geprägt hat. Mit ihrem Text „Is female to male as nature is to culture" wurde sie berühmt. Jetzt ist sie eine der bekanntesten feministischen Anthropologin und lehrt zurzeit an der Columbia University.

Sherry B. Ortner: Is female to male as nature to culture? (1974)

Sherry B. Ortner analysiert, theoretisch und ausgehend von ihrer Universalität, die Rolle der Frau. Dabei betrachtet sie die Frau als generell untergeordnete, teils abgewertete Gruppe innerhalb aller bekannter Gesellschaften. Diesen Zustand, den sie nach Anführen verschiedener Kriterien für erwiesen hält, erklärt sie anhand der These, dass das Verhältnis zwischen Frau und Mann jenem zwischen Natur und Kultur entspreche. Allerdings betont sie die kulturelle Konstruktion dieser Kategorien und sieht die Frau letztlich am ehesten in einer Vermittlerrolle.

Die Argumentation

Ortners Argumentation lässt sich derart zusammenfassen: Zunächst geht sie von Universalitäten menschlicher Existenz aus (Geburt, Tod, Körper, Seele, Interesse an persönlichem sowie kulturellem Überleben, Sozialität,...). Da die Zweitstellung der Frau in allen menschlichen Gesellschaften beobachtbar ist, muss sie, so Ortner, auf dieser Ebene analysiert werden und erklärbar sein. Sie fragt: Welche allgemeinen Strukturen oder Bedingungen der Existenz gibt es, die zu einer allgemeinen Zweitstellung der Frau führen könnten? Und antwortet mit dem vermeintlichen Gegensatzpaar Natur und Kultur. Während Natur für körperliche Zustände, Gefühle, direkte Erfahrungen etc steht, bezieht sich Kultur auf Transzendenz, Rationalität, Technologie. Kultur trägt dabei eine höhere Wertung, da sie, bsw. durch Rituale, Kontrolle und Macht auf die Natur ausübt, sich diese unterordnet. Nun existiere eine symbolische Nähe der Frau zur Natur und des Mannes zur Kultur. Diese zu verstehen und ihre innere Logik aufzudecken erklärt sich Ortner zum Ziel.

Ihre innere Logik ist grob zusammenzufassen in 1. biologische Faktoren, die 2. soziale Rollen bedingen, die wiederum 3. die psychische Struktur der Individuen verändern (die wiederum die sozialen Rollenbilder bestätigen und stärken).

1. Die Körperfunktionen der Frau sind in höherem Maße auf die Fortpflanzung ausgerichtet (Menstruation, Gebären, Stillen, ...) sowie auf die Gesundheit der Kinder (Gebärmutter, Brüste) anstatt auf die eigene Gesundheit, wie es beim Mann der Fall ist. Daraus resultiert 2. eine Rollenzuweisung, die Frau wird mit Familie, Haushalt und Kindererziehung identifiziert – ihr Raum ist das soziale Fragment, ihre Identität klar zugewiesen (Mutter). Der Mann dagegen hat einen großen Bewegungsfreiraum und keine klare Identität, sondern muss sich diese äußerlich erschaffen – sein Raum ist die übergeordnete Struktur (Politik, Kunst, Religion,...), er erschafft seine Identität. Daraus resultieren 3. Unterschiede der psychischen Struktur: der Frau, die sich mit konkreten Gefühlen, Menschen, Gegenständen auseinandersetzt, wird die Subjektivität zugeschrieben, dem Mann, der sich mit abstrakten Gedanken, Technologien und Strukturen auseinandersetzt, die Objektivität.

Die Wertung der Unterschiede beruht auf der Kontrolle und Macht, die die eine Seite über die andere ausübt, die Kultur über die Natur, die Abstraktion über das Konkrete, der Mann über die Frau. All dies ist natürlich kulturell konstruiert.

Anmerkungen und Fazit Ortners

Fraglich ist die Gegensätzlichkeit an sich. Ortner selbst weicht von der klaren Zuordnung ab, sie erkennt in der Frau die Vermittlerin von Natur und Kultur beispielsweise in der Kindererziehung und spricht ihr durchaus die Fähigkeit zu abstrakten Gedanken und Transzendenz zu, wie im Gegenzug dem Mann die Fähigkeit zu konkreten Gefühlen. In ihrem Fazit formuliert sie die Hoffnung, mithilfe institutioneller sowie bewusstseinstechnischer Veränderungen eine Art gesellschaftlichen Zustand der Freiheit und des Rechts auf Selbstverwirklichung zu erreichen, eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen gleichberechtigt am Projekt Kultur beteiligt sind. Sie übernimmt also die Kategorien der binären Oppositionen wie Levi-Strauss sie formuliert hat, hinterfragt zwar ihre Richtigkeit behält sie aber bei.

Anmerkungen und Kritik

Inhaltlich stellt sich mir die Frage, ob die These Ortners (Natur-Kultur gleicht Frau-Mann) die Unterdrückung erklärt oder rechtfertigt - und welches nun das Kernproblem menschlicher Existenz ist. Es ist eben nicht die Kultur, die eigenständig und zwangsläufig eine Natur kontrollierende Macht ist, sondern der Mensch, der im Begriff "Kultur" eine unterdrückende Macht und Kontrollfunktion ausdrückt, ausübt und zugleich rechtfertigt. Scheinbar unterdrückt derjenige, der daraus den eigenen Vorteil hofft, menschlicherweiseden (oder eben die) andere/n. Könnte es ein Produkt des Zwiespaltes zwischen Sozialität und Egoismus sein, dass Machteinen hohen Stellenwert in der Aushandlung aller Beziehungen und Sozialgefüge hat, die wiederum (zwangsläufig?) zu Unterdrückung führt?

Methodisch wird Ortner unter anderem das Fehlen des Individuums und somit der empirischen Grundlage vorgeworfen. Sie nimmt dazu Stellung wenn sie schreibt, ihre Arbeit sei ein Anfangspunkt, ein theoretischer Diskursanstoß, dessen allgemeine Gültigkeit empirisch belegt werden müsse, was allerdings ihren Rahmen sprengen würde. Zweifelhaft ist also ihr Universalanspruch; auf ihre eigene Kultur (USA) lassen sich dennoch deutliche Rückschlüsse ziehen – besonders wenn man ihren Artikel als politischen Beitrag zur feministischen Debatte in Amerika betrachtet. In der Übung wurde bsw. angemerkt, dass in China eine matriacharlische Bevölkerungsgruppe existiere (inwiefern das erwiesen ist, weiß ich nicht!). Außerdem wurde das Problem angesprochen, ob eine Frau, die nach europäischen Maßstäben als "unterdrückt" einzuordnen wäre, die sich aber möglicherweise keineswegs unterdrückt fühlt, nun unterdrückt ist oder nicht. Deutlich wurde auch das Problempotential zwischen allgemeinen Aussagen und konkreten Beispielen/Erfahrungen.

Weitere Anregungen:

Ob Frauen als ethnologische Gruppe behandelt werden können, ist genauso fraglich wie bei allen heterogenen Gruppen. Entscheidend ist also die Fragestellung – wenn man z.B. Weiblichkeit an sich erforschen wöllte, so wäre es logisch, sich auf alle Frauen zu beziehen bzw. alle mit einzubeziehen. Ob es da etwas universalgemeinsames gibt, ist natürlich der nächste Streitpunkt. Ansonsten sind die enormen kulturellen Unterschiede zu berücksichtigen, und bsw. beim Thema Unterdrückung die Unterdrückung von Frauen durch Frauen.

(Quelle: Ü Fach- und Theoriegeschichte im WS 09/10, Referatsskript der AG "Feminismus und Postkolonialismus", 04.02.10)

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